Landgericht Darmstadt spricht 1 Million Euro Schmerzensgeld zu – Ein Meilenstein im Arzthaftungsrecht

Das Landgericht Darmstadt hat eine Klinik und deren ärztliche Behandler in einem Urteil vom 17. November 2022 (Aktenzeichen: 23 O 192/17) zur Zahlung von 1 Million Euro Schmerzensgeld an den vom mir vertretenen Kläger verurteilt. Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf die Bedeutung sorgfältiger medizinischer Behandlung von Neugeborenen und die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld.

Der Fall: Verspätete Reaktion auf Gelbsucht führt zu irreversibler Hirnschädigung

Der Kläger, vertreten durch seine Eltern, wurde am 19. Juli 2013 in der beklagten Klinik geboren. Bei ihm wurde später ein Gendefekt namens Glukose-6-Phosphat Dehydrogenase-Mangel (G6PD) festgestellt, der das Risiko einer Neugeborenen-Gelbsucht (Hyperbilirubinämie) erhöht. Trotz steigender Bilirubinwerte wurde die notwendige Phototherapie zur Behandlung der Gelbsucht verspätet eingeleitet.

Die Bilirubinwerte des Klägers stiegen innerhalb kurzer Zeit von 5,9 mg/dl (20 Stunden alt) auf 16,9 mg/dl (40 Stunden alt). Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Klinik es versäumt hat, innerhalb von 12 Stunden weitere Befunde zu erheben und stattdessen 21 Stunden bis zur nächsten Messung wartete, als der Wert bereits auf 35,1 mg/dl angestiegen war.

Diese Verzögerung führte zu einer Bilirubinenzephalopathie (Kernikterus), einer schweren und irreversiblen Hirnschädigung.

Die Folgen: Lebenslange Behinderung und hoher Pflegebedarf

Infolge der Hirnschädigung leidet der Kläger an einer kombinierten Entwicklungsstörung mit dystonischer Bewegungsstörung und auditorischer Neuropathie. Er kann weder gehen, sitzen noch sprechen und benötigt eine umfassende 24-Stunden-Pflege. Sein Grad der Behinderung beträgt 100%. Die Eltern des Klägers sind durch die intensive Pflege stark belastet.

Das Urteil: Grober Behandlungsfehler und angemessenes Schmerzensgeld

Das Landgericht Darmstadt kam zu dem Schluss, dass der Klinik ein groben Behandlungsfehler vorzuwerfen sei, indem sie die geltenden medizinischen Standards (AWMF-Leitlinie Nr. 024/007) nicht eingehalten habe. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die verspätete Einleitung der Phototherapie ursächlich für die Hirnschädigung des Klägers war.

Neben dem Schmerzensgeld in Höhe von 1.000.000 Euro soll die Klinik auch materielle Schäden sowie zukünftige, nicht vorhersehbare immaterielle Schäden ersetzen.

Die Argumentation der Beklagten und die Beweisaufnahme

Die Beklagte argumentierte, dass der G6PD-Mangel des Klägers die Hauptursache für den Anstieg der Bilirubinwerte gewesen sei und dass eine Phototherapie den Kernikterus möglicherweise nicht hätte verhindern können. Sie berief sich auf ein Privatgutachten, in welchem die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und der Hirnschädigung in Frage gestellt wurd.

Das Gericht holte jedoch selbst ein umfassendes Gutachten ein, das den Behandlungsfehler und die Kausalität bestätigte.

Bedeutung des Urteils für Patientenrechte und Arzthaftung

E sist das erste Mal, dass ein Landgericht 1 Million Euro Schmerzensgeld für eine derartige Schädigung zuspricht. Das Urteil bestätigt, dass sich der Trend der Rechtsprechung, bei erheblichen Schädigungen deutlich höhere Schmerzensgelder zu zusprechen als bislang, weiter fortsetzt. Allerdings ist die Entscheidung nicht rechtskräftig geworden. Die Beklagte Klinik legte Berfung ein und vor dem Oberlandesgericht haben wir den Rechtssrteit dann durch einen Vergleich beendet, der allerdings in ähnlicher Höhe ausfiel.

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von: Jost Nüßlein  -    um: 9. März 2025